Da vorne hätte er normalerweise gar nichts zu suchen gehabt, und bei einer 2:0-Führung müssen Innenverteidiger ja auch nicht zwingend stürmen. Aber er war nun einmal kopfballstark, also stand Arne Friedrich an diesem Nachmittag des 3. Juli 2010 in Kapstadt im gegnerischen Strafraum. Und er blieb dort, als Mesut Özil die Ecke kurz ausführte, noch einmal einen Doppelpass mit Bastian Schweinsteiger spielte, ehe dieser von Rechtsaußen zu einem Dribbling ansetzte und den Ball von der Grundlinie nach innen spielte. Bis zu diesem Moment war Friedrich der deutsche Nationalspieler mit den meisten Einsätzen (77) ohne Tor. Zwei Sekunden später hatte er Schweinsteigers Hereingabe zum 3:0 über die Linie gedrückt und sich damit einen Platz in einer ganz anderen Statistik gesichert: Er ist der WM-Torschütze des VfL Wolfsburg.
Erst 48 Stunden beim VfL
Das allerdings fiel damals, beim deutschen WM-Viertelfinale gegen Argentinien (am Ende war’s ein 4:0), kaum jemandem auf. Denn Friedrich hatte bis dahin noch kein einziges Spiel für den VfL gemacht. Und sein Wechsel von der gerade abgestiegenen Hertha nach Wolfsburg war erst rund 48 Stunden vor seinem einzigen Länderspieltor über die Bühne gegangen. „Mit Wolfsburg noch mal in die Champions League“, das war Friedrichs Ziel – und sein Grund, Berlin nach acht Jahren zu verlassen.
„Ich kannte Arne ja aus meiner Zeit bei Hertha sehr gut“, erinnert sich der damalige VfL-Manager Dieter Hoeneß, „wir hatten immer einen guten Draht zueinander.“ Und das habe sehr geholfen, den Abwehrmann nach Wolfsburg zu locken, wo ein Jahr nach der Meisterschaft ein großer Umbruch anstand. „Einige Spieler, die den Titel geholt hatten, waren entweder nicht mehr da, über ihren Zenit hinaus oder standen wie Edin Dzeko vor dem Absprung“, so Hoeneß.
Also bastelte der ehemalige Bayern-Torjäger, damals erst ein knappes halbes Jahr im Amt, an einer neuen Wolfsburger Top-Mannschaft, verpflichtete neben Friedrich unter anderem auch die damals weithin unbekannten Mario Mandzukic und Simon Kjaer, holte zudem – als Königstransfer – den Ex-Werder-Star Diego von Juventus Turin in die Bundesliga zurück. Als größte Überraschung aber galt damals die Verpflichtung des englischen Trainers Steve McClaren.
"McClarens Verpflichtung war ein Fehler"
Hoeneß’ Plan ging nicht auf – aus vielen Gründen. Dass Friedrich wegen eines Bandscheibenvorfalls die ganze Hinrunde über nicht spielen konnte, war einer davon. Ein anderer: McClaren funktionierte als Trainer in Wolfsburg nicht. „Seine Verpflichtung“, so Hoeneß heute ehrlich, „war ein Fehler von mir.“ McClaren fremdelte etwas mit den Abläufen in Fußball-Deutschland, und Hoeneß’ Hoffnung, der ehemalige Nationaltrainer möge doch bitte aus den Top-Stars Dzeko und Diego ein schlagfertiges und harmonierendes Offensiv-Duo formen, wurde ebenfalls nicht erfüllt. „Das“, so Hoeneß, „hat der Steve leider nicht hinbekommen.“
Als Friedrich dann am 15. Januar 2011, 196 Tage nach seinem Tor bei der WM, endlich zum ersten Mal in der Bundesliga für den VfL auflief, war Dzeko schon für rund 37 Millionen Euro zu Manchester City gewechselt und McClarens Aus spätestens am Saisonende war schon beschlossen. Während Friedrich zur festen Größe in Wolfsburgs Abwehr wurde – er fehlte nur zweimal gesperrt und wurde nie ausgewechselt – überschlugen sich die Ereignisse: Erst musste McClaren nach einem 0:1 in Hannover vorzeitig gehen, nach einem 1:2 gegen den von Dieter Hecking trainierten 1. FC Nürnberg (bei dem Mandzukic sein erstes Bundesliga-Tor erzielte), war auch für Hoeneß Schluss. Meistertrainer Felix Magath kam zurück, dem VfL rettete er erst am letzten Spieltag mit einem 3:1-Sieg in Hoffenheim die Klasse.



Nur 15 Spiele für Wolfsburg
Dass Spieler wie Mandzukic und Kjaer später zu internationalen Top-Stars wurden und sich der im Winter geholte Ja-Cheol Koo in den Folgejahren als erster Südkoreaner in der Bundesliga etablierte, zeigt, dass Hoeneß mit seinen Transfer-Ideen gar nicht so falsch gelegen hatte. „Aber wie so oft im Fußball, fehlte da auch ein bisschen Geduld“, wie er sagt.
Friedrich fehlte der Draht zu Magath, er ließ nach nur 15 VfL-Spielen seine Karriere 2011 in Chicago ausklingen. Zuletzt war der heute 40-Jährige „Performance Manager“ bei Hertha BSC, könnte dort nach dem Abschied von Trainer Jürgen Klinsmann und der Verpflichtung von Bruno Labbadia demnächst zum Sportdirektor aufsteigen. „Der Arne“, so Hoeneß, „ist einer, der für ehrlichen Fußball steht, der sich aber auch nicht verbiegen lässt. Es wäre gut, wenn er der Bundesliga erhalten bleibt.“